Handwerk und Zeitgeschehen

Handwerk und Zeitgeschehen

Wir restaurieren Fachwerkhäuser. Das ist zu unserem Steckenpferd geworden. Ich behaupte jetzt mal frech: „Wir haben das drauf, wir sind Fachleute, weil wir Mensch geblieben sind“

Wenn ich zu einem Kunden fahre der sein altes Fachwerkhaus restaurieren, sanieren (im Sinne von heilen) oder einfach modernisieren lassen möchte passiert folgendes:

  • Ich bemühe mich, mein Ego auf die Couch zu schicken. (Gelingt Gott sei Dank immer besser)
  • Ich höre zu, um herauszufinden was mein Kunde möchte.
  • Ich mache mit dem Kunden eine Begehung, um herauszufinden, was möchte das Haus, was braucht es um „heilen“ zu können.
  • Nun geht es ans Eingemachte! Mit dieser Anamnese (Bestandsaufnahme) bemühe ich mich eine Diagnose zu stellen. Dies bedingt zwingend langjähriges theoretisches Studium und praktische Anwendung des erst mal theoretischen Wissens. Einer der wichtigsten Punkte ist hierbei ganzheitliches Denken. Hierzu muss ich mich mit Bauphysik, chemischen Prozessen, Materialkunde und den Themenkomplexen Statik und Technik beschäftigen. Die Paragraphen lasse ich hier mal außen vor da sie nichts zur Heilung des Hauses beitragen! Damit können sich dann andere Experten beschäftigen. Wir haben noch die Möglichkeit Softwareprogramme für Klimasimulationen zu nutzen, um die angedachten Bauteilkonstruktionen zu überprüfen. Der Haken hier, wer gibt welche Daten ein und überblickt er die möglichen Konsequenzen bzw. Zusammenhänge. Manchmal hilft auch einfach empirisches Wissen.
  • Und jetzt wird es spannend: Wie entsteht nun in mir, als Mensch, der Therapievorschlag?

Mein Therapievorschlag ist von mehreren Faktoren abhängig, manche sind den meisten von uns gar nicht bewusst. Hier geht es um Fragen, die gestellt werden sollten: „Ist mein angelesenes und geschultes Wissen, dass erst mal nur Information darstellt, durch handeln, sprich „erfahren“ zu Weisheit geworden? Das wäre schon mal ein guter Anfang, wenn man dies bejahen kann. „Inwieweit bin ich durch meine Lebensumstände, Lebenserfahrungen, Ängste, Vorlieben und auch Meinungen vorbelastet?“ Diese Aspekte haben ohne dass wir dies bewusst wahrnehmen, einen großen Einfluss auf unsere Lösungsvorschläge. Dies beinhaltet im schlechtesten Fall einen einseitigen Therapievorschlag der die Summe der Ursachen und Wirkungen, die bei der Anamnese gefunden wurden, nicht in Gänze berücksichtigt.  Eine weitere Frage betrifft die Ganzheitlichkeit der Aufgabenstellung. Was braucht es noch, um das Bild abzurunden? Ich betrachte nun alle Faktoren aus einer höheren Perspektive, bemühe mich diese zu verbinden und beziehe den finanziellen Aspekt mit ein, der durch eine transparente und offene Kommunikation mit dem Kunden, mindestens im Groben, besprochen wird.

  • Der Therapievoschlag:

Zur Erinnerung, wir haben drei wesentliche Komplexe, die ich hier in drei Fragen zusammenfasse.

  1. Welche Wünsche, Vorstellungen, Meinungen etc. hat der Kunde?
  2. Was will das Haus, was gibt es vor, was sagen die Befunde?
  3. Wie sind die ersten beiden Punkte in ein Kosten-/Nutzenkonzept übertragbar?

Es gibt keinen generellen Therapievorschlag, der für alle Fachwerkhäuser gleich gültig wäre. Jedes Haus ist individuell zu betrachten. Selbstverständlich existieren fachliche Wahrheiten die zu, mutmaßlich 99,5% auf viele Fachwerkgebäude übertragbar sind. Und nun?

Die Lösung für meinen Therapievorschlag lautet folgendermaßen: Ich benutze mein Herz, meinen Verstand und meine Intuition. Ich bin mit Empathie, Respekt und Achtung bei meinem Kunden. Wo ich - dazu gehört kritische Selbstreflektion – das Gefühl habe meine fachlichen Grenzen zu erreichen nehme ich mich zurück und frage Kollegen, Sonderfachleute oder informiere mich im Internet in einschlägigen Portalen und Fachkreisen. Das nennt sich dann Recherche und Informationsbeschaffung zwecks Meinungsbildung. Dies sollte dann in einem fachlichen Diskurs mit allen Beteiligten vorgetragen werden. In meinem Weltbild ist das eine Selbstverständlichkeit. Lustigerweise haben manchmal sogar die vermeintlichen Laien, unsere Kunden, die besseren Ideen. Tja, so ist das schon mal mit der Expertise. Aber ehrlich, tut gar nicht nicht weh, im Gegenteil. Mich freuts.

Der kritischste Punkt bei unseren Fachwerkhäusern sind die Finanzen. Nur mit sehr viel Offenheit und Transparenz, mit einer permanenten Kostenüberwachung und mit Rechenschaftsberichten gegenüber unseren Kunden haben wir es bisher immer geschafft Lösungen herbeizuführen. Es ist möglich auch die immer wieder auftauchenden Überraschungen in den Griff zu bekommen. Und, die Überraschungen, die die Fachwerkhäuser so haben sind eher die Regel wie die Ausnahme. Im schlimmsten Fall, bedeutet dies das Ende des Projekts oder den Ruin des Kunden. Bei uns heißt das frühzeitig, Gespräch mit dem Kunden suchen, Lösungen herbeiführen und ggfs. Alternativen finden. Die werden dann einfach an die Gegebenheiten angepasst. Hat bisher immer funktioniert, auch wenn es für alle erst mal eine Belastung darstellt.

Was heißt das jetzt alles? Was hat das alles mit dem aktuellen Zeitgeschehen zu tun?

RESÜME

Dieses Prinzip, das wir seit langem anwenden, traditionell betrachtet seit Jahrhunderten, groß geworden in den Zeiten der Bauhütten, hat uns Handwerker, so wir ehrenvoll, wahrhaftig und ehrlich agieren zu wahren Experten werden lassen. Wir heilen Häuser, und, manchmal auch Menschen, selbstverständlich immer gegenseitig, denn wir bekommen immer etwas zurück. Dafür bin ich dankbar. Unter Einbeziehung der alten traditionellen Baustoffe Holz, Lehm und Kalk schaffen wir für unsere Kunden ein gesundes Zuhause, immer mehr unter Mithilfe der Bauherren. Und nein, ich werde nicht gendern, das überlasse ich anderen.

Das was ich in meinem Beruf auslebe mache ich auch in meinem privaten Leben. Ich gehe respektvoll und achtsam mit meinen Mitmenschen um. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich in der ganzen Zeit nicht ein einziges aggressives Gespräch über das aktuelle Zeitgeschehen geführt habe, Und das unabhängig der vertretenen Meinungen.

Ich möchte am Ende ein Wort aus dem Ahrtal anfügen „SolidAHRität“. Es drückt aus was Menschen als Gemeinschaft, zusammen, leisten können. Dabei spielt die Größe der Herausforderung keine Rolle.

Ich wünsche allen eine schöne Weihnachtszeit. Habt euch lieb, lacht und nehmt euch einfach mal in den Arm. Das ist eine wundervolle Therapie.

Peter Schneider