Der Weg des Schamanen

Der Weg des Schamanen

Es ist spät im Jahr als der alte Schamane sich auf den Weg macht. Die ersten Blätter fallen von den Bäumen und die morgendliche Kühle lässt ihn manchmal frösteln, obwohl er ein Winterkind ist. Die vergangenen Jahre erinnerten ihn daran etwas verloren zu haben. So machte er sich auf diese sehr spezielle Reise. Mit einem Schmunzeln denkt er daran das dies die Reise im Jetzt ist. Es ist das immerwährende Jetzt, gleichzeitig mit Vergangenheit und Zukunft. Ja, denkt er im Stillen, für sich, ich bin das Vergängliche und auch das Ewigliche Jetzt. Das ist das Leben, hier auf Mutter Erde, der er sich wieder und wieder zuwendet, um ihren Herzschlag zu spüren. In den Momenten spürt er es besonders tief, eine unerfüllte Sehnsucht nach dem Schoß der großen Mutter.

Die Suche nach dieser tiefen Verbindung, von der er wusste, dass er sie in vielen Leben erfahren durfte, treibt ihn um. So begab er sich auf die Suche in dem großen Mysterium Namens Schöpfung. Nun weiß er das er beim Vater nicht finden kann, was ihm nur die Mutter geben kann, die große, liebevolle zärtliche Mutter, Mutter Erde, jedoch weiß er nun auch, dass er nur beim Vater finden kann, was des Vaters ist, Vater Himmel. Anscheinend ein Mysterium, doch nein, es ist eines der großen Geheimnisse der Schöpfung. Nichts ist wirklich getrennt. Die Wahrheit ist, alles ist miteinander verbunden. Aus der Quelle ist alles gekommen und zur Quelle wird alles eines Tages zurückkehren, im Hier und Jetzt.

Es ist dies das Meer, auf das unsere Sonne ihre sanften Strahlen schickt, damit das Wasser verdunsten kann, dieses Lebensspende Etwas. Der Wind trägt den Dunst über das Meer in Richtung Land, da wo die Berge diesen Dunst willkommen heißen. Wolken beginnen sich zu bilden und verdichten sich mehr und mehr. Als Regen kehrt nun der Dunst des Meeres zurück zur großen Mutter um als kleine Quelle, einem verspielten Kind gleich, den ewigen Kreislauf fortzuführen. Bäche und Flüsse entstehen und das Wasser sucht sich seinen Weg, mäandernd fließt es über Mutter Erde, dem Leben gleich, Erfahrungen sammelnd, mal klar und rein, mal schmutzig und trüb. Dann kommt der Moment der Wiedervereinigung, obwohl, war es je getrennt, fragt sich der alte Schamane. Und so kehrt das Wasser zurück in das große Meer, das Meer der Möglichkeiten. Ja, denkt der alte Schamane mit einem wissenden Lächeln im Gesicht, das nenn ich wohl das Leben und der Friede, der dabei sein Herz durchströmt lässt sein ganzes Wesen lichtvoll erstrahlen.

Jahrelang glaubte er, dass er nach seiner Weiblichkeit suchte und erst jetzt im Frühherbst seines Lebens erkennt er das er in früher Kindheit sein Mannsein abgab. Es dämmerte ihm so langsam, dass es nie um ein entweder oder ging, sondern um ein sowohl als auch. Damit einher ging auch die Erkenntnis das er sogar das Weibliche abgab, erkannte er doch als Kind wie weich und verletzlich das Weibliche sein konnte und wie sehr dieser für ihn so schmerzliche Kampf zwischen Mann und Frau ihn dazu aufforderte sich von allem loszusagen. Dies hatte zur Folge, dass er sein Leben in großer Einsamkeit verbrachte. In jungen Jahren eine schmerzliche Erfahrung, heute kann er schmunzeln, wenn er an diese Zeit denkt. Heute hat er das Licht in der vermeintlich dunklen Einsamkeit gefunden. Es ist dies die Stille in der Einsamkeit. Hier ist sie verborgen vor den Widrigkeiten des Lebens, die Weisheit, die aus all seinen Erkenntnissen und Erfahrungen entstanden ist. Einem Schmelztiegel gleich wird hier wieder in Form gegossen, was er immer war und so sehnlichst wieder sein möchte. Ein Licht, geschöpft durch die Allmutter und den Allvater.

Durch seine vielen Forschungen, die er in dem Wunsch die Schöpfung zu ergründen, durchführte, war er in der Lage all sein Erleben aus einer höheren Perspektive zu betrachten. Es ist wie der Flug des Adlers, der sich Spiralförmig in den Himmel erhebt und mit scharfem Blick das Ganze sieht. Er verspürte dieses Gefühl von Wissen, Wissen warum er dieses Leben wählte. Es sollte eine Hochzeit werden, eine Vermählung mit sich selbst, die Vereinigung von Mann und Frau um zu werden, was wir einst waren, eins, All…Eins. Eine Heilreise. Wir werden geboren und vergessen das All…Eine und fühlen uns, ja, alleine. Welch Ironie doch in diesem Wortspiel liegt, denkt der alte Schamane und mit einem bewussten Ausatmen lässt er den Schmerz dieses Gedankens gehen, wissend das alles ist wie es ist. Doch er weiß auch das diese Vereinigung, um die er sich bemüht, der All…Tag ist, wieder und wieder im ewigen jetzt gilt es die Balance zu finden in all den Energien, die er bewegt und die ihn bewegen.

Es ist die Waage des Lebens und hier als Mensch auf der Erde zu leben, bedeutet mal im Licht und mal im Schatten zu stehen. Wenn die Menschen doch verstehen würden, denkt der alte Schamane mit einem Seufzer, dass ihr wahrer Kern, ihre Essenz, ihr Seelenlicht oder wie auch immer das benennt werden kann, stets bei ihnen, mit ihnen ist. Ja, auch wenn der Verstand es nicht greifen kann, das Herz kann es. Der Mensch ist der Ankerpunkt dieser Lebenswaage, tief in sich, im hellen Licht seiner Essenz liegt die Schöpferkraft verborgen, die, mit Liebe, tiefer bedingungsloser Liebe diese Lebenswaage ins Gleichgewicht bringen kann. Es ist das gleich gewichten, gleich wichtig, gleich wertvoll, gleich sinnhaft, die wundervollen Kräfte von Mann und Frau. Eine heilige Hochzeit, Frieden stiftend, Freude bringend und glückselig machend.

EPILOG

Als der Erzähler dieser Geschichte, einfach ein Mensch im besten Alter, habe ich das Gefühl, das dieser alte Schamane ein sehr weiser Mann ist. Es ist, als ob er mir helfen möchte mich zu erinnern, fast so als ob ich ihn gerufen hätte. Das macht mich demütig und gibt Hoffnung für meinen weiteren Weg und ich bin dankbar, dankbar das dieser alte Schamane in mein Leben kam und mich so viel lehrte und jeden neuen Tag lehrt. Vielleicht ist dieses Wesen so präsent, weil ich mich heute immer mehr traue mich zu erinnern.

So habe ich das nicht unangenehme Gefühl, das dieser alte Schamane aus alten Leben herüberwinkt und letztendlich ein Aspekt, ein Teil von meinem heutigen Sein, hier als Mensch auf Mutter Erde ist. Ein schöner Gedanke. Würde mich heute jemand Fragen, ob ich ein Schamane bin, würde ich wohl antworten: „Nein, ich bin kein Schamane, ich bin Lehmbauer und Geschichtenerzähler. Dennoch, ich tauche mit Hingabe und Liebe in die Welt der Schamaninnen und Schamanen ein, weil ich hier Werkzeuge und Rituale finde, die mich auf meinem Weg der Selbstwirksamkeit und der Selbstheilung unterstützen. Und ich würde wohl antworten, ja, ich bin Schamane, doch das ist lange her, damals in einem anderen Leben, im Hier und Jetzt und irgendwie bin ich es immer noch“

Meister Federleicht